Mit dem Rollator unterwegs

Von Stahl zu Carbon: Technikgeschichte des Rollators

03.11.2021

„Für Kranke, deren Gehmuskelapparat eine beschränkte Gebrauchsfähigkeit aufweist, kommt die Anwendung einer Vorrichtung in Betracht, die ihnen ein gefahrloses Vornehmen von Steh- und Gehversuchen ermöglicht. Technisch und wissenschaftlich auf das Vollkommenste durchgearbeitet, bietet dieser Apparat dem Kranken beste Gelegenheit, selbständig nach eigenem Vermögen Gehversuche zu unternehmen“. So der Wortlaut einer Beschreibung aus der Zeitschrift „Die Umschau“ im Jahr 1916, die heutzutage mit Sicherheit ein wenig anders geschrieben würde. Das lenkbare „Gehrad“ war ein Metall-Gestell mit drei Rädern und einer im Halbkreis gebogenen Haltestange, welches eine gestützte Fortbewegung ermöglichen sollte – einer der ersten Vorläufer des Rollators, wie wir ihn heute kennen! Tatsächlich sollte es aber noch über 60 Jahre dauern, bis eine Schwedin auf eine ganz ähnliche Idee kam und den ersten serienreifen Rollator erfand.

Ungelenker Vorgänger: Der Gehbock

Lund in Südschweden - Heimatstadt von Aina Wifalk

Auf diesen Kopfsteinpflaster-Straßen war die Erfinderin des Rollators unterwegs: Lund, die Heimatstadt von Aina Wifalk, ist eine beschauliche Kleinstadt in Südschweden.

Bis dahin wurde lange Zeit ein Vorgänger des Rollators als Mobilitätshilfe verwendet, der Gehbock. Solch einen Apparat nutzte auch Aina Wifalk aus Lund. Die junge Frau musste ihre Ausbildung zur Krankenschwester abbrechen, da sie an Kinderlähmung erkrankt war. Aus Unzufriedenheit mit den vorhandenen Gehhilfen entwickelte Wifalk den ersten Rollator. Sie ersann einen Gehbock mit vier Rollen, einer Handbremse und schon damals auch einer Sitzfläche für das Päuschen zwischendurch. Das Gefährt war so robust, dass es sich auch draußen verwenden ließ und so die Bewegungsfreiheit seiner Anwenderin deutlich verbesserte. Aina wollte ihre Erfindung vielen Menschen zugute kommenlassen – daher ließ sie sich den Rollator nicht patentieren. Die spätere Sozialwissenschaftlerin engagierte sich schon vor ihrer Erkrankung für die Rechte und Bedürfnisse behinderter Menschen. So gab sie bereits 1952 den Anstoß zur Gründung eines Behindertenverbandes in ihrer Heimatstadt Lund. 1958 war sie beteiligt an der Gründung eines Multiple-Sklerose-Verbandes in Västmanland.

Rollatoren im Wandel der Zeit

Dame mit Rollator und Tablett

Während die ersten Rollatoren vorwiegend aus Stahl, dem widerstandsfähigen Material des Dampfkessels und der Industrialisierung, gefertigt wurden, hat das High-Tech-Zeitalter mittlerweile auch die Rollatoren erreicht. Die Rahmen moderner Rollatoren werden aus Aluminium oder aus Carbon gefertigt. Der Vorteil: Ein Rollator aus Aluminium oder ein Carbon-Rollator sind wesentlich leichter als die Gehhilfen aus Stahl. Auch bei der Gestaltung haben sich die Mobilitätshilfen von den funktionalen, schweren Krankenhausmodellen in lichtgrau zu formschön gestalteten, eleganten und farbenfrohen Design-Rollatoren entwickelt. Viele Modelle werden mittlerweile mit Preisen wie dem begehrten IF Design Award oder dem renommierten Red Dot Award ausgezeichnet.

 

Carbonfaser, Werkstoff der Rennräder

Carbon, das bedeutet Kohlenstoff – aber Carbon als Werkstoff besteht nicht aus Kohle. Das geläufig als Carbon bezeichnete Material ist kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff. Es handelt sich um das steifste und festeste Material, das momentan in großtechnischen Anlagen produziert werden kann. Durch die Kohlenstofffasern wird der Kunststoff haltbarer, behält aber seine Elastizität und das geringe Gewicht. Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff wird deshalb oft z. B. für professionelle Rennräder verwendet. Auch das charakteristische Aussehen mit der erkennbaren Struktur der Fasern verdankt der Werkstoff den Kohlenstofffasern. Zurzeit wird für die Herstellung von Carbon hauptsächlich konventionelles Polyacrylnitril genutzt – das Fraunhofer Institut entwickelt aber bereits biobasierte Carbonfasern aus nachwachsenden Rohstoffen.

Rollatoren für drinnen und draußen

 

Die Modellvielfalt bei den Mobilitätshilfen ist mittlerweile äußerst beeindruckend. Neben den Rollator-Modellen, die drinnen und draußen genutzt werden können, gibt es Wohnraum-Rollatoren ausschließlich für Innenräume, die zugleich die Funktion eines Beistelltisches mit kleiner Ablagefläche haben können. Unter den Außenmodellem gibt es auch robuste Rollatoren , die für ein Anwendergewicht bis zu 200 kg geeignet sind. Eine Neuentwicklung ist ein Outdoor-Rollator für weniger gut erschlossene Wege oder den Strand: Der Carbon Overland Rollator mit Luftreifen eignet sich auch für einen Spaziergang am Wellensaum!